Die Megawattuhren -

kein Seemannsgarn

Größere Beutestücke und die Kosten, diese per Seeweg gen Heimat zu schicken, lassen mich bereits nach fünf Tagen ein Geldinstitut aufsuchen. Auf Cochin ist auf die Schnelle keine Indian State Bank zu finden, die Travellerchecks wechselt. So betrete ich erstmals eine Canara Bank. Klimaanlage, genial!

Darüber hinaus sind keine großen Unterschiede zu erkennen. Ich soll einfach nur warten. Nach dem Warten bedeutet mir ein Sikh, dass erst nach dem Mittagessen ausländische Währung getauscht wird. Kurz nach 12 Uhr. Das zeigt mir, dass sich das bisherige Warten bereits gelohnt hat, denn mittlerweile ist es zwanzig vor 11 Uhr. Ich nicke dem Angestellten zu, wechsle nach seinem fragenden Blick zum typischen Kopf wackeln, setze mich. Plötzlich schaltet ein Irrer die Klimaanlage aus. Kunden wie Angestellte werden von Unruhe erfasst. Ob sie sich genau wie ich in Sicherheit wähnten? Dabei hatte sich die Hitze einfach unter dem steten Luftstom versteckt, schwappt nun einer Welle gleich über uns. Die Warterei wird regelrechte Qual. Gutbetuchte Hindufrauen bringen ihre quengelnden Kinder über die Zeit, indem sie auf mich zeigen. Nach zehn Minuten Winken und Grimassen schneiden beschließe ich, an die ganz heiße Luft zu gehen.

Kurz vor Mittag, ist eine ideale Zeit zum Schwitzen, denke ich und stürze, mich selbst verfluchend, in den erstbesten Obstladen. Kalte Getränke im Angebot - Lakshmi ist auf meiner Seite. Der Mangojuice ist so kalt, wie es ein Kühlschrank bei Tropenhitze und Stromausfall erlaubt. Oh Lakshmi!

indfiglakshmi1

Der Chef hat versäumt ihn rechtzeitig mit Flaschen zu bestücken. Aber mit kalten Getränken, besänftige ich mich, ist es wie mit den Lauen: Kaum getrunken spritzen sie aus der Haut, so, als wäre man bei einer Bierparty auf dem Weg zur Erleichterung in ein MG-Feuer gelaufen.

Der Fan geht natürlich auch nicht. Alles nicht so schlimm, wie es gekocht wird. Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich mit dem Kollaps gerungen, inzwischen bin ich Hitzestress gewohnt. Das ist kein Grund sich diesem freiwillig auszusetzen, man versucht ihm aus dem Weg zu gehen. Ich knalle in den Plastikstuhl.

Einen Tisch weiter sitzt ein Typ und schwitzt auch. Er hat dunkle Verfärbungen im Gesicht, bohrende Augen, Haare, Haare, und der Rest ist Bart. Man kann sagen, mir gegenüber sitzt ein finsterer Mensch. Aber das hat ja nicht immer was zu bedeuten. So starre ich unverwandt zurück. Keine fünf Minuten später startet Holper-Englisch. Nach dem eröffnenden »How are you« und »Wie geht's, wie steht's«, kommen wir ins Gespräch. Auch für die restlichen Gäste im Laden ist das eine willkommene Abwechslung. Ich setze mich auf eine Mango zu ihm rüber und wir plaudern, während der Ladenhüter Weintrauben wiegt, welche die Besten von ganz Indien sind. Ich sehe dem Dunkeltypen in die Augen und muss an den Pub in Darjeeling denken, den freundlichen Kerl, den wir für einen Mafiosi hielten.

   Alexander ist Katholik und auf Urlaub. Die ersten zwei Standardfragen Religion? Verheiratet? erwidere ich mit dem Standard-No. Mit meinem Beruf kommt er sofort klar. Er selbst wäre Navigator auf einem Überseefrachter, fragt, ob ich als Vermesser auch Seekarten herstelle. Inzwischen ist er zwei Monate länger zu Hause als geplant, da seine Frau ihm seit Weihnachten in den Ohren liegt: »Ach Alex, bleib noch, du bist immer so lange fort, nur noch ein paar Tage. Please, please Alex ...« Da ist er halt geblieben. Er könne es sich leisten, Leute mit seiner Ausbildung seien gesucht. Warum also ständig auf dem Wasser rumschippern? Fragt er mich. Der Bursche konnte einem gefallen.

   Dass ich aus Deutschland komme, quittiert er mit einem: »Oh yeah, St. Pauli!« Die nachfolgende Erklärung, jeder Seemann sei schon mal da gewesen, bringt den Verdacht, dass Deutschland auf den Frachtern der Welt als St. Pauli! in den Karten eingetragen ist. Untiefen inclusive.

   Dafür dass mich die Banker auf der anderen Straßenseite erst nach Mittag auszahlen wollen, hat er auch gleich eine Erklärung. Das liege am Stromausfall, ganz klar. No power, no money! Ich bekomme endgültig bestätigt, was es mit diesen ständigen Powercuts auf sich hat. Wir hatten längst gelernt, dass diese uns wie ein Fluch begleitenden Ausfälle nichts mit Zufall zu tun haben. Überall, an den jeweiligen Orten stets um die gleiche Zeit, zwei, drei Mal am Tag wird rigoros abgeschalten. Nichts geht mehr. Es folgen ohnmächtige Blicke auf stillstehende Ventilatoren. Wie auf Geheiß einer inneren Uhr legt man Bücher kurz zuvor zur Seite, zieht den Kopf ein, den sogleich gierige Hitze in den Schwitzkasten nimmt. Bald mutmaßten wir, dass die Behörden fehlenden Strom aufteilen und Bundesstaat für Bundesstaat, Stadt für Stadt, vom Netz nehmen oder zuschalten. Alexander bestätigt das im Großen und Ganzen, hier aber, käme ein beträchtlicher Widerspruch dazu. Wir in Kerala, tönt er in die Runde, haben zwar die meisten Wasserkraftwerke des ganzen Landes, dafür bekommen wir den wenigsten Strom zugeteilt. Was für anhaltendes Gelächter im Obstladen sorgt. Ich nehme mir das als eine Art von überlieferter Weisheit. In irgendeiner der tausenden heiligen Schriften, in den Upanishaden, den Veden, stehen Verse über einem Heiligen, der aus vollem Herzen gibt, seine Obstgärten allen öffnet, dafür selbst nur ein Lächeln und eine Bananenschale nimmt. Bestimmt! Nebenbei macht den Kraftwerken die sich verschärfende Trockenheit zu schaffen. Von den Westghats kommt kaum noch Wasser herab.

   Die Menschen nehmen die Stromnot gleichgültig hin. Alexander spaziert jeden Tag, wenn Radio, Fernseher und Fan nicht gehen, die Straße hinunter, trifft sich mit Bekannten, plauscht ein wenig, trinkt seinen Saft. Nur, dass zur Zeit die asiatische Cricket-Meisterschaft läuft, ist wirklich großes Pech. Cricket sei schließlich Indiens Nationalsport.

   Ich erfahre mehr über die Seefahrt. Seine letzte Heuer von Cochin zu den Lakkadiven war nicht viel mehr als ein Tagesausflug. Läuft alles nach Plan, benötigt sein Schiff 21 Tage von Bombay durch Suezkanal, Mittelmeer, nach Deutschland, 35-40 Tage für den längeren Weg um Kap Horn. Die Gebühren für die Passage des Kanals richten sich nach der Schiffstonnage, das Leben auf hoher See ist rauh, schön, aber auch stinklangweilig und die Kinder fressen ihm sowieso noch mal die Haare vom Kopf. Ich winke ab und meine, dass sie da ja noch jede Menge Futter haben, worauf sich der halbe Laden die Schenkel klopft.

    Die Wanduhr, über die Ganesh und Vishnu wachen zeigt 8 nach 12. Wir schwitzen gerade die dritte Mango aus, da geht der Ventilator an. Der Kühlschrank summt, ein vergessener Mixer heult weil es nichts zum Mixen gibt. Durch den Raum weht die angenehmste Brise, die mir je das Gesicht gekühlt hat. Der Seemann macht den Ladenbesitzer darauf aufmerksam, dass die Uhr mindestens fünf Minuten vorgeht. Nach den Stromausfällen kann man die Zeit stellen. Wir machen uns auf, er zum Cricket vor den Fernseher, ich in die Bank, wo ich noch eine geschlagene Stunde auf mein Geld warten werde. Als wir später unsere Pakete zum Einnähen und Versiegeln beim Schneider vorbeibringen, fragen wir, wann wir sie abends holen können. Zwischen 19 und 20 Uhr schätzt er.

   Nach dem Stromausfall?

   Ja, bis dahin hätte er sie auf jeden Fall fertig.

 

 

Cochin, Bundesstaat Kerala

 
*