Da kocht die Freude und hält sich den Bauch

Oma hätte sich mit gefreut

Wider Erwarten bekommen wir auf dem Markt Paprikaschoten. Wir sind so glücklich, dass wir das Feilschen vergessen. Die alte Gemüsefrau sieht uns verwirrt nach.

Zu Hause beschließen wir für alle Mietparteien gefüllte Schoten nach deutscher Küche zu servieren. So in etwa. Hackfleisch hat sich längst ins Land der Träume verabschiedet, ist außerdem unangebracht. Reis wäre zu einfach und ist außerdem momentan vom Speisezettel verbannt. Wir beschließen eine Art Kartoffelbrei als Beilage sowie gebratene Zwiebeln und Möhren für die Füllung zu kreieren.

   Nach kurzer Zeit hängt ein Duftfaden in der Luft. Kaum eingezogen, schwebt ein Sack Duftwolle heran, der einen wahnsinnig werden lässt. In meinem Magen trommelt jemand mit Fäusten an die Wände. Der Brei wird selbst ohne Milch, nur durch Öl und Zwiebeln leckeriös, der absolute Gaumenbrecher ist die Soße, die aus angebratenem Weißkraut, Paprika und unbekannten Gewürzen rauszuholen ist.

   Einmal im Rausch räumen wir unseren Vitaminkarton aus. Kochen ist schon was. Leider habe ich da ja zwei linke Hände und alles Daumen, zum Mitschnitzeln und für Ratschläge reicht es allemal. Keine falsche Bescheidenheit. Meine Bratkartoffeln mit Spiegelei sind schon der Hit, bilde ich mir ein. Ich bin ständig am Verbessern. Der letzte Schrei, ist dieses Gemüse, dessen Namen wir nicht kennen. Es sieht durchgeschnitten wie ein Stern aus und schmeckt angedünstet nach Pilzbohnen. Wenn wir dann auf den Brettern liegen, die Hände auf dem Ranzen den warmen Dunderklumpen erfühlen, um ihn vorsichtig, ganz vorsichtig zu verteilen, ja dann ist Frieden angesagt und leises Pfeifen ersetzt alle Worte.

   Ich treibe bei Maria Geschirr auf, die sogleich in der Luft rumschnüffelt und mit schelmenhaftem Lächeln jeden Teller einzeln, betont langsam herausrausrückt. Wunderbar, wieder eines der automatisch gespeicherten Bilder, die ich gerne für immer mitnehme.

   Wir teilen auf, bringen Sardarnjali und Brinda, Savith und Laya, dann Maria, Vaiko und Varun, schließlich Fatima Kostproben vorbei. Verdutzte, überraschte Gesichter. Wir grinsen selbstzufrieden und machen uns im Zimmer über den Rest her. Schmatzen, Gurgeln, das Essen wird mehr eingesaugt als gekaut. Wir spekulieren, dass wir in Indien zu Chefköchen gereift sind, sehen uns bereits in französischen Gourmettempeln anrichten, für die selbst fünf Sterne fünf zu wenig sind.

   Es dauert nicht lange, da klopft es.

   Ein Teller nach dem anderen wird zurückgebracht. Wir können es kaum glauben, deutsch-indische Küche kommt an. Die Nachbarn sind tatsächlich begeistert. Oder freundlich, jedenfalls bedanken sich alle ausnahmslos. Fatima erscheint gar mit Kuchen, den sie schnell, unheimlich schnell gebacken hat. Er ist heiß, mit Zimt und Zitrone, und noch schneller von dieser Welt. Selbst Maria bringt die Teller, die ja ihr gehören, um zu zeigen wie leer sie sind. Dann bittet sie uns in ihre Wohnung.

   Wir dürfen auf dem Bett Platz nehmen, vielmehr, wir müssen. Wir fragen nach und erfahren, dass tatsächlich alle vier auf dem kurzen Gestell schlafen. Wo denn sonst, fragt sie verdutzt zurück, auf dem Boden ist es doch viel zu kalt!

   Varun sitzt, mit einer Reismatte als Unterlage auf dem Boden, während es sich Vaiko im Schneidersitz auf einem Kasten bequem macht. Wie zur Demonstration zieht er eine Platte heraus, die als Ablage dient. Maria hockt daneben, rollt Chapatis in einer Anzahl, dass wir verzweifelt nach freien Stellen drücken. Ihre Fladen verfeinert sie mit Öl statt mit Ghee, sie schmecken fast wie Plinsen. Dazu gibt es Omelett und Dal, in dem grüne Blätter eines Busches schwimmen, der, wie wir erfahren, in der Gegend um Madurai wächst.

   Essen ist im Grunde unmöglich, wir sind mehr als satt, wir gleichen übersättigten, knackenden Beuteln. Trotzdem müssen wir ran an die Schüssel, um sie nicht zu beleidigen. Zum Glück ist Dal, der in unzähligen Variationen im ganzen Land verbreitet ist, inzwischen eine unserer Leibspeisen. Seit fünf Wochen haben wir keinen vernünftigen mehr gegessen. Mag es im Restaurant oder in der Schnellküche schmecken, ist das nichts gegen ein selbst bereitetes Essen auf dem eigenen Herd. Das ist weltweit gleich. Ich muss sogleich an Oma denken, die den Gasherd links liegen und nichts auf ihren alten Beistellherd mit Holz und Kohlefeuerung kommen ließ. Großmutters Kochkünste bleiben für mich unübertroffen, jedenfalls was deutsches Essen anging. Selbst als sie selbst nichts mehr schmeckte und die Prise Salz zweimal regnen ließ, kam keine Gaststätte an sie heran. Zu schön die Vorstellung Oma säße hier mit uns im Kreis und ihre Geschmacksnerven würden durch die landestypische Chilinote zu neuen Leben erweckt. Sei es das Mata Paneer beim Milchmann oder Marias flüssige Linsenvariante, zwei der einfachsten Speisen bringen uns die indische Küche näher als jede aufgetafelte Spezialität. So wie ein einfaches Bauernfrühstück den Tafelspitz gaumentechnisch alt aussehen lassen kann. Ich beiß mir auf die Lippen. Nicht wegen dem Chili, daran habe ich mich längst gewöhnt, ich muss ein Lachen unterdrücken. Oma spuckt neben mir Feuer und ihr Gebiss schießt von Flammen verfolgt an die gekalkte Wand. Zum Glück sehe nur ich das. Diese Bilder sind heikel, je nach Situation in der sie hinterrücks auftauchen. Das sich derartige Visionen häufen muss am Land liegen.

   Ich muss mich zusammenreißen. Zurück zum Essen, wenn gibt es schon die Chance echte landetypische Küche zu genießen. Von daher gäbe es reichlich Grund zum jubilieren. Die Freude trübt unser Fehler. Wir hatten uns keine Viertelstunde vorher über die restlichen Schoten hergemacht. Auch Fatimas Kuchen wärmt noch spürbar den Bauch. Wer kann auch ahnen, dass es üblich ist nach dem Essen zum Essen eingeladen zu werden?

   Maria rollt derweil mit spitzbübischen Lächeln Chapatis. Kommt noch jemand?

 

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   Henry, ihr Mann, ist auf Arbeit, er schafft in einem Hotel für reiche Inder und ist seit einem Monat von 5 Uhr bis 23 Uhr gefordert. Das Zimmer der vierköpfigen Familie ist etwa so groß wie das unsrige. Wie in allen übrigen Räumen des Hauses wird am Licht gespart. Entweder das Fenster ist verhangen oder es ist keines vorhanden. Oben, auf den Balken, liegt Feuerholz zum Trocknen. Der Raum ist gefegt, die Alutöpfe blitzen, die wenigen Regale sind mit Zeitungspapier ausgelegt. Der Schatz ist die Stereoanlage sowie allerlei technisches Spielzeug. Wie wir schnell bemerkten, ist Henry begeisterter Hobbylöter. Wenn er mal nicht im Hotel arbeitet, sitzt er bastelnd draußen vor der Hütte. Einmal, wir saßen unterm Pflaumenbaum, fuhrwerkte er mit dem Schraubenzieher, in einem Kasten der nur noch Kabelgedärm mit ein paar Organen ohne Körper war und noch dazu aussah, als hätte es bereits in der Presse gelegen. Wir warfen uns vielsagende Blicke zu, um kurz darauf verdutzt zu hören wie er an einem Potentiometer die Sender einstellte. Sie wollen demnächst umziehen da ihnen die Miete mit 150 Rupien im Monat zu hoch ist. John verdient nicht ganz 1000 Rupien. Der Durchschnittslohn beträgt zwischen 800 und 1200 Rupien, haben wir mit der Zeit ausgemittelt, wobei einfachere Jobs natürlich bedeutend tiefer entlohnt werden. Maria sehen wir jeden Tag für den Haushalt schuften, arbeiten. Dazu die Kinder, trotzdem versucht sie, wenn Zeit ist, in Kodaikanal dazu zu verdienen. Das heißt Fischkisten aus Madras abladen und auspacken, für Leute kochen und putzen, sie sagt, sie nimmt jede Arbeit an. Die Zwillinge gehen gleich oben auf dem Berg in die Schule, die nicht bezahlt werden muss. Nur die Schuluniform, Bücher und Schreibzeug sind selbst zu stellen. Sie zeigt uns ihr Lebensmittelkartenheft, dass sie mit beiden Händen festhält wie einen Schatz. Der Staat subventioniert einige Grundnahrungsmittel wie Getreide und Mehl, auch Kerosin, den üblichen Kochtreibstoff. Demnach sind zum Beispiel zehn Kilo Reis und zwei Kilo Zucker im Monat verbilligt zu haben.

   Währenddessen lädt sie uns pausenlos Fladen nach und füllt Dal auf.

   Maria zeigt auf zwei unserer Paprikaschoten, die sie zusammen mit Henry essen will, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt. Wir sind zum Bersten gefüllt, trotzdem macht es Spaß, mit den Kindern Chapatis in die Linsen zu panschen.

   Spaß gibt es jede Menge, einfach weil Maria eine lustige Seele ist, wie wir sie hierzulande bisher nicht angetroffen haben. Sie ist nicht nur für einen Scherz zu haben sondern von einer verblüffenden Herzlichkeit. Nicht, dass Inderinnen ansonsten keine in sich trügen, Gurga bewahre, nur das sie diese nicht so offen zeigen. Langnasen wie uns erst recht nicht.

   Nach dem Tee bedanken wir uns (Maria winkt augenrollend ab) und schleichen auf unser Zimmer, um uns die Bäuche zu halten.

 

*
 

Pampapuram, Kodaikanal

Bundesstaat Tamil Nadu

 

 



Wahnsindien - Der Reiseblog

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aus der Zeit, als es

noch keine Reiseblogs gab 

von Volker Dittrich