Es ist eine Frage der Fantasie des Betrachters aber ebenso der des Künstlers. Denn bevor vom Betrachter etwas betrachtet werden kann, bedarf es natürlich eines Künstlers, welcher ein Werk schafft. In diesem Schaffensprozess ist es unabdingbar, der Fantasie Raum zu geben, oder etwas weiter gedacht: die Dinge geschehen lassen. Gedanken, Empfindungen, Visionen und Ideen auf dem Papier sichtbar zu machen.

Die Dame, deren Ausstellung hier und heute eröffnet wird, besitzt einen unglaublichen Vorrat an kreativen Ideen, und noch dazu ein –ich kreiere einmal den Begriff- „Kreatives Auge“. Diese beiden Tatsachen haben sie wahrscheinlich auch zu der Maltechnik gebracht, welche sie heute am meisten liebt und welche in dieser Ausstellung auch bestaunt werden kann: der Aquarellmalerei. Farbpigmente werden zusammen mit Wasser auf Papier aufgebracht und beginnen dort auf unterschiedliche Art und Weise zu verfließen. Dabei entstehen wie durch Geisterhand Strukturen und Formen welche man zu Gesichtern und Figuren, zu Blättern und zu Bäumen oder zu Mustern werden lassen kann.

So ist es jedes Mal aufs Neue auch eine Frage des Zufalls - und natürlich der Fantasie-, was letztendlich auf dem Papierbogen zu sehen ist. Normalerweise wäre es ja durchaus tragisch, wenn es bei dem Abstellen einer etwas unvorsichtig befüllten Tasse Kräutertee, zu Flecken auf dem Aquarellpapier kommt, an dem man gerade arbeitet. Man kann sich ärgern und das bisher gemalte Werk erbost zerknüllen und in den Papierkorb werfen… oder, wie es unsere Künstlerin einmal getan hat, die Kräuterteeflecken betrachten, und kurz darauf in das Bild einarbeiten. Wie ich schon sagte, es eben eine Frage der Fantasie und des kreativen Auges, aus dem zufällig Entstandenen sein Werk zu schaffen.

Wie kein Meister vom Himmel fällt, fällt natürlich auch weder Wissen noch Können jemandem einfach so zu. Die ersten Erfahrungen machte unsere Malerin in der 5. Klasse, als sie ihr Zeichenlehrer in den von ihm geleiteten Zeichenzirkel einlud. Dort hatte sie die Möglichkeit, einmal, von seinem Wissen zu profitieren, aber auch mit den anderen jungen Leuten der Gruppe in Verbindung zu treten. Gemeinsam sich unterhalten und gemeinsam malen. In dieser Zeit entstand auch der Gedanke, Kunst nicht nur zu praktizieren sondern auch Kunst weiterzugeben, für Kunst zu begeistern. So war es dann auch bald klar, sich in Dresden für das Studium des Lehramtes im Fach bildende Kunst einzuschreiben. Als Zweitfach Deutsch- So konnte sie sich auch ihrer zweiten Leidenschaft, dem Schreiben widmen.

„Kunst ist wie Sprache. Sie tut einem gut.“ Sagte sie mir bei einem Treffen zur Vorbereitung dieser Ausstellung.

Auch wenn die Zeit des Studiums wegen der Vorgaben und Pflichten und der damit verbundenen Eingeschränktheit der Kreativität nicht die schönste Zeit für sie war, entstanden trotzdem viele neue Werke. Damals, vor etwa 20 Jahren war dann auch die erste Ausstellung, zusammen mit einer Freundin in Dresden. Die Ausstellung welche wie die Heutige den Titel „Allyren“ trug, wurde zum großen Erfolg. Nach dem Ablegen des ersten Staatsexamens in Dresden fügte es sich, dass unsere Malerin im italienischen Turin ein neues Land und damit verbunden auch eine neue Sprache erlernen konnte. Aber auch die künstlerische Seite hatte einen großen Zugewinn: Sie konnte sich einen lange gehegten Traum erfüllen, welchen sie seit ihrer frühen Jugend auf dem Herzen getragen hatte: Das tiefe dunkle geheimnisvolle und ebenso das helle leuchtende und strahlende Blau des Mittelmeeres mit eigenen Augen zu sehen. Zur Zeit der DDR wo der Wunsch geboren wurde, war an das Reisen nach Italien natürlich nicht zu denken, auch später während des Studiums war die Erfüllung der Sehnsucht in weite Ferne gerückt. Doch letztendlich muss es wohl wie eine Offenbarung gewesen sein, endlich die Wasser und die Farben des Mittelmeers zu sehen. Vielleicht rührt ja daher die bis heute hin anhaltende Vorliebe für die Farbe Blau.

Einige Jahre gingen ins Land, es wurde das zweite Staatsexamen in Cottbus abgelegt und dann nach Riesa gezogen. Als dann zuerst ihre Tochter und dann wiederum einige Jahre später ihr Sohn das Licht der Welt erblickt hatte, eröffnete sich wieder ein neues Feld: das der Mutter und damit verbunden auch das der kreativen Kinderbetreuerin. So lernte sie es als erwachsene Frau wieder von neuem, die Welt mit gewissen kindlichen Augen zu sehen. So entstand in einem gemeinsamen Projekt mit ihrem Lebenspartner Volker Dittrich ein kleines Büchlein mit Kindergeschichten für Tochter und Sohn mit Geschichten von ihm und Illustrationen von ihr.

Nach wie vor ist die Kunst ein bestimmendes Element ihres Daseins. Als Lehrerin am örtlichen Berufschulzentrum in Riesa begeistert sie Schüler für das Arbeiten mit Pinsel und Farbe, mit Ton, mit Stiften und Zeichenkohle oder, ihrer anderen Leidenschaft entsprechend mit Worten und Schauspiel. Ebenso wie in der Schule ist sie auch im Privaten nach wie vor Künstlerisch aktiv. Einige Werke von ihr können nun hier, in der Stadtbibliothek Riesa für einige Zeit betrachtet werden.

Nehmen Sie sich etwas Zeit, Betrachten Sie die Bilder, entdecken sie die Lebewesen und Figuren, die Gesichter und Gestalten, die Farben und die Formen, welche in ihren Werken versteckt sind. Doch davor, bitte ich um einen herzlichen Applaus für:

Lydia Strunz!

Luca Sing-Dehnert